Manche Schreiber haben Probleme damit, einfache Szenen interessant zu gestalten. Hier einige Vorschläge, wie man auch langweilige Szenen zu einem Knaller macht.
Ausgangspunkt: Jack, Bürosachbearbeiter, geht durch den Raum und nimmt sich eine Tasse Kaffee.
1. Pragmatisch: Jack ging zur Kaffeemaschine und goss sich eine Tasse Kaffee ein.
2. Mathematisch-artistisch: Jack trat vorsichtig auf den Teppich, bemüht, keine der Linien zu berühren, die das grässliche Muster leider zuhauf aufwies. In einem Winkel von 90 Grad setzte er den einen Fuß in das ockergelbe Quadrat, dann den zweiten im Abstand von 67,4 Zentimeter in das lila Dreieck. Er nahm etwas Schwung, platzierte seine Hände in die roten Kreise, wirbelte die Beine in die Luft, ging leicht ins Hohlkreuz, senkte das rechte Bein im 95 Grad Winkel nach unten und gerade, als er mit dem Fuß die Bedientaste auslösen wollte, betrat sein Chef den Raum: „Meine Güte, Jack. Können Sie sich nicht Kaffee nehmen wie andere Leute auch?“
3. Chaotisch: Jack ging zur Kaffeemaschine, blieb mit dem Absatz am Teppich hängen, prallte gegen den Schreibtisch, von dort gegen den Stuhl, wurde gegen den pinken Sitzball geschleudert, den sein neuer Kollege mitgebracht hatte, weil er an einem Bandscheibenvorfall litt, federte drei Mal von diesem ab (vom Ball, nicht vom Kollegen), wurde von einer Windbö erfasst und verschwand durch das geöffnete Fenster.
4. Titanic: Jack steuerte die Kaffeemaschine an, als er den Ruf „Eisberg voraus!“ vernahm. Prompt verhakte er sich mit dem Gürtel an der Türklinke, riss die Tür aus den Angeln und krachte mit ihr in das eisig kalte Wasser. „Wir werden alle sterben!“, schrie er. „Was für ein Glück, dass ich auf dieser Tür liege!“ Da schwamm Rose an ihm vorbei: „Jack-Schatzi, ich erfriere! Es passen auch zwei Leute auf diese Tür.“ „Ach, jetzt auf einmal, Rose? Das hättest du dir früher überlegen sollen.“
5. Superman: Jack hypnotisierte die Kaffeemaschine, worauf sie ihm einen Cappuccino mit extra viel Schaum zauberte. Als er die Tasse ansetzte, vernahm er den Hilfeschrei einer Frau, die seit Stunden erfolglos versuchte, rückwärts einzuparken. Sofort riss er sich das Hemd vom Körper und flog aus dem Fenster. Mit dem kleinen Finger bugsierte er das 1, 5 m lange Auto in die zehn Meter lange Parklücke und bot der völlig erschöpften Frau seine Tasse an: „Käffchen, meine Liebe?“
6. Shakespeare: Jack schlich zum Schreibtisch seines neuen Kollegen aus dem Hause Capulet, in der Hand eine Tasse vergifteten Kaffees, als die bezaubernde Julia das Büro betrat. Gebannt von ihrer Schönheit hielt er ihr die Tasse hin. „Oh, Julia!“ „Oh, Jack! Oh, Kaffee! Vielen Dank.“ Sie trank die Tasse aus, bevor er einschreiten konnte und fiel tot zu Boden. Verzweifelt aß er die Tasse und starb an inneren Blutungen.
7. Facebook: Jack tänzelte geschmeidigen Schrittes zur Kaffeemaschine, als er plötzlich über 780 neue Freundschaftsanfragen, 47 Porno-Tanten und drei Videos mit lachenden Hündchen im Bademantel stolperte, mit dem Kopf auf den Tisch aufschlug, während sein neuer Kollege dies hämisch lachend filmte und bei Facebook einstellte, woraufhin Jack alle seine 4999 Freunde verlor und sich schamgebeugt löschte.
8. Mr Grey: Zufrieden betrachtete Jack, gehüllt in einen 70.000 Dollar-Anzug, seine neue Kaffeemaschine aus purem Gold, die im Glanz der extra installierten Morgensonne erstrahlte, was ihn täglich 5.000.000 Dollar kostete. „Gibs mir, Baby, ein Frappuccino spezial.“ Er lachte heiser, während sein Schwanz zu einem Ofenrohr anschwoll. Doch da leuchtete es auf: „Bohnen nachfüllen!“ Mit zusammengebissenen Zähnen zerrte er den Gürtel aus Krokodilsleder aus seiner Hose. „Du verweigerst dich? Ich werde dich lehren, besser zu gehorchen!“
9. Liebe auf den ersten Blick: Jack ging zur nagelneuen Kaffeemaschine. Sie sah wunderschön aus, so herrlich weiß, mit blinkenden Bedienfeldern. Er fühlte plötzlich eine tiefgehende seelische Erschütterung, sein Herz öffnete sich, Engelein jauchzten und jubilierten. War das Liebe, diese Himmelsmacht, die er so noch nie zuvor empfunden hatte? Demütig fiel er vor der Maschine auf die Knie. „Du bist die, auf die ich immer gewartet habe.“ Er schlug die Hände vors Gesicht und weinte ergriffen. Da betrat sein Chef den Raum. „Menschenskinder, Jack. Auch wenn heute Montag ist, kein Grund sich so aufzuführen.“
10. Frankenstein: Jack streckte seine vernarbten Hände nach der unschuldigen Kaffeemaschine aus. Sein Gesicht, eine Fratze aus zusammengetackerten Fleischstücken und Metzgersresten, verzerrte sich. „Der Meister liebt dich über alles. Und darum …“
Da scholl das fröhliche Pfeifen seines Chefs durch die Gänge. „Ja, wo ist sie denn, meine über alles geliebte Kaffeemaschine?“, gurrte dieser.
Jack griff zu, seine Stahlhände ließen die Maschine wie Wachs in seinen Händen schmelzen, ein letztes Röcheln und sie war tot. In diesem Moment riss sein Chef die Tür auf, das Lächeln auf seinem Gesicht verwandelte sich zu einer Maske des Entsetzens: „Was hast du getan, du Bestie? Ich habe ein Monster erschaffen!“
„Na, Liv?!“ MacGyver steht plötzlich hinter mir. „Lenken wir uns mal wieder vom Beenden wirklich wichtiger Dinge ab? Und schreiben Unsinn ins Internet?“
„Äh, nein. Nicht die Bohne.“